Ambiguität als Potenzial

Veranstaltungen 3. Mai 2019

Sechs ExpertInnen trafen sich am vergangenen Wochenende am ifz, um über Ambiguität und Ambivalenz zu sprechen. Im Kern ging es darum, wie sich uneindeutige Sachverhalte und ihre widersprüchlichen Bewertungen im Kontext der Demokratie aushalten lassen. Thematisiert wurde dabei zugleich die Frage, wie es gelingt, im Unauslotbaren einen Reiz anstelle einer Bedrohung zu sehen.

Die Religionsphilosophin und ifz-Wissenschafterin Annette Langner-Pitschmann führte in das zweitägige Fachgespräch ein. Sie stellte die Expertinnen und Experten vor, die aus unterschiedlichen Bereichen kamen und dadurch eine jeweils andere Perspektive zur Diskussion beitragen konnten.

Raphael Susewind, Sozialanthropologe am King’s College London, beschrieb den Umgang mit Ambiguität als eine Kulturleistung, mit der wir auf innere Zerrissenheit reagieren und diese überwinden können. In diesem Zusammenhang verwendete er neben der Ambiguitätstoleranz auch den Begriff „Ambiguitätsfreude“ und zeigte an zwei empirischen Beispielen, wie wertvoll es sein kann, die Wirklichkeit unabhängig von jeder begrifflichen Deutung zu erleben.

Karoline Scharpenseel aus München analysierte unseren Umgang mit Widersprüchlichkeiten und Mehrdeutigkeit aus dem Blickwinkel der Politischen Philosophie. Am Beispiel der Theorie Michael Walzers zeigte sie auf, dass Differenzen im Miteinander unterschiedlicher Weltanschauungen ein durchaus wertvolles Gut sind, da unser Zusammenleben nur durch sie wachsen kann. Ausgehend vom Toleranzbegriff Rainer Forsts veranschaulichte sie, was es heißt, Meinungsunterschieden im gegenseitigen Respekt zu begegnen.

Die Psychoanalytikerin Regina Miltner aus Köln zeichnete nach, was die Psychologie meint, wenn sie einen Menschen als „ambiguitätstolerant“ beschreibt. Dabei wurde deutlich, dass der Mensch auf geschützte und von Erwartungen befreite Räume angewiesen ist, um widersprüchliche oder diffuse Gefühlszustände tatsächlich aushalten zu können.

Michael Schneider-Velho, Leiter des Fachbereichs Politische Bildung des Pädagogischen Instituts München, sprach über Spannungsfelder und Ambiguität im Kontext Schule. Dabei ging es vor allem um widersprüchliche Aufgaben und Anforderungen an Lehrkräfte. Aber auch für SchülerInnen ist die Schule ein ambivalenter Ort, wo es einerseits um Identitätsentwicklung und Subjektivierung, aber auch um das Ringen für Anerkennung geht.

Auch der Humor kam beim Fachgespräch nicht zu kurz, denn schließlich zehren viele Bereiche, allen voran die Kunst, die Religion und Theologie – aber eben auch der Humor – von ambiguen Themen. Der an der Katholischen Privatuniversität Linz lehrende Theologe Andreas Telser näherte sich in seinem Vortrag dieser Perspektive und wies den Humor in seinem Potenzial zu Befreiung und Verletzung als eine irreduzibel mehrdeutige Größe aus. Er plädierte dafür, den Humor der Religion an die Seite zu stellen, um die gläubige Bezogenheit auf das Absolute zu relativieren, ohne sie zu entkräften.

Immer wieder wurde in den Referaten deutlich, dass sich die Kategorien des Ambiguen und des Ambivalenten nur verstehen lassen, wenn sie als Eigenschaften des Resonanzraums geteilter Erfahrung betrachtet werden. Das abschließende Referat von Annette Langner-Pitschmann griff diesen Gedanken auf und arbeitete unter anderem ausgehend von der Konstitution des religiösen Glaubens das Potenzial prinzipiell nie restlos bestimmbarer Konzepte und Gedanken heraus.

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